Verändern sich in der Zukunft unsere Entscheidungen?
Luhmann erklärte 1996 bereits die zwei unterschiedlichen Realitäten von Medien: Die „reale Realität“ ist das Materielle, wie bedrucktes Papier oder die farbigen Pixel auf einem Bildschirm. Die „konstruierte Realität“ ist eine Illusion, die im Verstand durch die Deutung der menschlichen Wahrnehmung entsteht. Die VR wird multisensualer wahrgenommen, als herkömmliche Medien und laut Luhmann, basiert die Deutung des Inhaltes auf der Wahrnehmung. Sollten Medien, unterschiedliche konstruierte Realitäten erzeugen, dann sollte sich auch das Verhalten dementsprechend beobachtbar verändern. Nahezu jeder hat schon etwas in einem Online-shop gekauft und bei industriellen Entscheidungen werden verstärkt Programme eingesetzt, die einen virtuellen Raum erschaffen sollen wie z.B. CAD-Konstruktionssoftware zur Digitalisierung von Produktprototypen. Was für einen Einfluss nimmt die Technik selbst auf unsere alltäglichen Entscheidungen? Die Forschungsfrage ist, ob sich durch die Benutzung virtueller Geschäfte, die Kaufentscheidung verändert. Dabei gilt die Hypothese, dass durch virtuelle 3D Geschäfte, im Gegensatz zum Online-shop, der Kaufentscheidungsprozess beeinflusst wird, insbesondere die Informationssuche und Bewertungsphase.
Verwendete Technik
CAVE – Cave Automatic Virtual Environment

Ein Raum zur Projektion einer dreidimensionalen Illusion, der virtuellen Realität. Jeder Projektor erzeugt zwei Bilder, damit man ein 3D-Bild erkennt muss man eine Shutter-Brille aufsetzen (wie im 3D-Kino). Durch das infrarot Tracking wird die genaue Position des Kopfes erfasst, so wird die virtuelle Umgebung individuell auf die Bewegungen der Person angepasst. Dadurch wirkt alles echt und es entsteht eine sehr große Immersion (man läuft auch mal gegen die Wand). Die CAVE wird z.B. in der Industrie benutzt, um sich die Kosten für teure Prototypen bei der Produktentwicklung zu sparen oder in der Arbeitspsychologie, um neue Prozesse vor der Einführung zu testen.
Head Tracking and Eye Tracking

Das Eyetracking gibt es sowohl in stationärer Form, in Verbindung mit einem Desktop oder in mobiler Form als Brille. Es werden die Pupillenbewegungen, Größe und Abstand erfasst und als Punkt auf ein Video gezeichnet. So kann man sehen, wo der Proband hinschaut. Das Eyetracking ermöglicht es uns durch die Blickverfolgung die kognitiven Prozesse besser nachzuvollziehen. Das Fraunhofer IAO benutzt das Eyetracking unter anderem in einem Fahrsimulator, um Sicherheitssysteme gegen Sekundenschlaf zu entwickeln.
Online Shop

Da alle zur Verfügung stehenden 3D-Modelle von dem Möbelhersteller IKEA stammten, wurde das Design des Online-shops, dem der Original Webseite nachempfunden. Das diente auch dazu, den Wiedererkennungseffekt zu verstärken. Benn et al. zeigten, dass die Navigation eines Online-shops häufiger benutzt wird, da das „Wiedererkennen von Produkten (kognitiv) einfacher ist als das Abrufen“ eigener Erinnerungen. Damit sollte an die Erfahrungen mit den IKEA Produkten erinnert werden und entsprechende Heuristiken einer limitierten Kaufentscheidung aktiviert werden.
Theorie
Die Entscheidung kann laut Schiffmann und Kanuk allgemein definiert werden als „die Auswahl einer Option aus zwei oder mehr alternativen Möglichkeiten“. Laux et. al behaupten darüber hinaus, dass mindestens zwei Alternativen sich darin unterscheiden müssen, inwiefern ein Ziel damit, unterschiedlich gut erreicht wird. Zur Messung der Kaufentscheidung, insbesondere der Informationssuche und Produktbeurteilung, dienen sowohl Beobachtung als auch Befragung. Beobachtungen können in direkter Form erfolgen, durch die Produktdarbietung und Beobachtung des Zuwendungsverhalten und der Interaktion der Kunden mit dem Produkt. Indirekte Beobachtung ist eine Informations-Display-Matrix, wobei aus dem Aufdecken verdeckter Informationen durch die Probanden, Rückschlüsse auf deren Interessen geschlossen werden. Interaktive Medien dienen einer Entscheidungsperson zur Informationssuche und der Bewertung der Alternativen. Welchen möglichen Effekt der Unterschied des Mediums auf die Phasen der Informationssuche und Bewertung haben kann, dazu gibt die Theorie des Framing-Effektes einen Ansatzpunkt.
Methode
Versuchsaufbau
Die Probanden bekamen die Aufgabe sich einen individuellen Arbeitsplatzes einzurichten. Sie sollten aus 5 Stühlen, 5 Regalen und 8 Tischen mit jeweils 3 Farbvarianten ein Büro zusammenstellen. Dazu luden wir im Juli und August 2015 ein. Die Teilnehmer wurden gleichmäßig auf 3 Gruppen aufgeteilt: eine Gruppe durfte im gewöhnlichen Online-shop einkaufen, eine anhand eines 3D-Web-Planers und eine Gruppe durfte die Möbel in der CAVE auswählen. Im 3D Planer und der CAVE war der Raum bereits mit zufälligen Möbeln bestückt, die die Probanden ändern konnten. Allerdings konnte die Position der Möbel nicht verändert werden. Nach dem Kauf wurden alle in einem videogestützten, retrospektiven Interview zu den Kriterien und Gedanken Ihrer Entscheidung befragt.
Daten
Die Kaufentscheidungen im Online-shop und im 3D-Web-Planer wurden anhand eines Tobii X120 Desktop-Eyetrackers aufgenommen und mit Hilfe des Eyetrackings analysiert. In der CAVE wurden durch das sogenannte A.R.T Head Tracking (Advanced Realtime Tracking) der Infrarotkameras die Kopf-position und -bewegung erfasst. Die Daten der Eyetrackingbrille Tobii Glasses 2 können dann detailgetreu in die Szene der Virtuellen Realität übertragen werden. So kann man die Bewegungen, Blickrichtung und die Fixation modellieren und analysieren. Die dreidimensionale „Heatmap“ ist ein kaum erforschtes Mittel zur Auswertung von Verhalten und Blicken im virtuellen Raum.
Stichprobe
Die Einladung wurde per E-Mail im Netzwerk des Fraunhofer Institutes, der VR Community, den Universitäten Stuttgart und Hohenheim sowie über die Laborwebseite und den Verteiler der HFT Stuttgart verschickt. Insgesamt nahmen 39 Probanden
an dem Experiment teil. 2/3 der Probanden waren Studenten, der Rest waren wissenschaftlichen Mitarbeiter oder VR- Enthusiasten.
Ergebnisse
Die Kriterien zur Auswahl der Möbel waren in allen Medien dieselben. Jeder hat bei der Entscheidung eine eigene Vorstellung, diese ändert sich nicht durch das Medium!
Es wird der bequemste Stuhl, am besten hat er auch noch Rollen und ist hochwertig und pflegeleicht, schwarz denn “man trinkt ja auch mal einen Kaffee und da geht was daneben”.
Das Regal ist eher “unwichtig”, Hauptsache viel Platz und stabil, aber dazu “hat man ja keine persönliche Beziehung”. Viele Probanden hätten sich sogar gegen ein Regal entschieden. “Heutzutage ist eh alles digital, da scannt man die Unterlagen ein.”

Interessant ist auch noch, dass diejenigen Teilnehmer die in der Gruppe Online-shop waren, angegeben haben, dass sie sich eher nicht mehr Möbel gewünscht hätten.
Wohingegen die Probanden in den Gruppen CAVE und 3D-App sich eher mehr Möbel gewünscht hätten.In der CAVE und der 3D-App hatten die Probanden den Vorteil, dass sie sowohl Form und Größe der Möbel gut erkannt haben. Tische und Regale wurden schneller gewählt
als im Online-shop. Allerdings fehlten hier zusätzliche Informationen wie z.B. was für Materialien verarbeitet sind oder ob es eine Höhenverstellung gibt.
Alle Probanden würden Büromöbel lieber in Realität sehen bevor sie sie kaufen!
Nicht nur darin wie das Produkt präsentiert/ visualisiert wird, sondern welche Informationen sich der Konsument wünscht um eine nachhaltige Entscheidung zu treffen! Manchen Probanden waren die ästhetischen Aspekte wichtiger als die Funktionalität, hier
ist man also mit der Auswahl in einem Medium mit hochauflösenden, realitätsnahen Modellen sicherer.


Fazit
Alle Entscheidungen die täglich getroffen werden, haben gemeinsam, dass sie fehleranfällig sind. In Unternehmen werden täglich unzählige Entscheidungen getroffen, die in ihrer Gesamtheit zum Erfolg oder Misserfolg des Unternehmens führen. Dabei geschieht die Kommunikation der Informationen zwischen und innerhalb von Unternehmen, zu einem Großteil über elektronische Medien via E-Mail, Intranet, Telefon oder anderem. Es wurde kein Einfluss der Darstellung, auf die Informationsverarbeitung bei der Kaufentscheidung festgestellt. Die durchgeführte Untersuchung gibt also keinen Anlass zur Sorge, dass die Entscheidung durch das Medium nachhaltig beeinflusst wird. Das Projekt sollte weder bessere noch schlechtere Ergebnisse liefern, wenn die Entscheidungen in der CAVE oder an einem Desktop getroffen werden. Wie Shepherd und Rudd 2014 in ihrer Metaanalyse zeigten, gibt es nur wenig Aufschluss darüber, welche Kontextvariablen den größten Einfluss auf Entscheidungen des Managements ausüben könnten. Wie Kahnemann bereits zeigte, sind Menschen nicht fähig, sehr viele Informationen zu Verarbeiten. Jeder Mensch unterliegt bei der Informationsaufnahme und Bewertung verschiedenen Fehlern wie dem Framing. Sicher ist, dass ein Medium zur Informationssuche und als objektive Unterstützung dienen soll. Es sollte darauf geachtet werden, dass alle Informationen leicht zugänglich dargestellt werden und zur Förderung der kognitiven Leichtigkeit, mehr mit Bildern und Grafiken gearbeitet wird als mit Text. So wie sich zeigte, dass die Kaufentscheidung im 3D-Planer kürzer dauert, als in einem Online-shop. Wenn ein Entscheidungsträger weniger Erfahrung im Umgang mit einem Medium hat, so kann sich das nachteilig auf den eigentlichen Zweck der Informationsvermittlung auswirken. Auch könnte die Entscheidung nachhaltiger getroffen werden, wenn sie durch mehrerer Medien unterstützt stattfindet, bei denen die Informationen unterschiedlich repräsentiert sind. So können Entscheidungsfehler verringert werden, indem die Informationswahrnehmung durch die Darstellung selbst stark verzerrt wird. Die Ergebnisse der Untersuchung lassen die spannende Frage offen, ob ein Framing-Effekt zwischen den Medien auftreten würde, wenn die Möbel nach der online Recherche in der Realität gekauft würden. Auch bei realitätsnaher Darstellung, sind elektronische Medien eher geringe Faktoren, im Gegensatz zu realen Erfahrungen. Am Ende sind die Konsequenzen in der „realen Realität“ das, was wir an Erfahrung für die nächste Entscheidung gewinnen.